Autor: Agrita Tipāne, Dr. arch.
Die Entwicklung des Jugendstils in Rīga begann Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Stadt das wirtschaftliche Aufblühen erlebte, das durch die Entwicklung der Industrie und des Handels begünstigt wurde. Rasch wuchs die Zahl der Einwohner: Nach der Volkszählung 1893 lebten in Rīga 251 644 Einwohner, und 1913 verdoppelte sich diese Zahl, denn in der Stadt lebten bereits 517 264 Einwohner. Auch die ethnische Struktur hat sich geändert, und das Gewicht der Letten ist gewachsen. Das wirtschaftliche Aufblühen förderte auch den Bau. In einem Jahr wurden in Rīga im Durchschnitt 150 bis 200 neue Gebäude errichtet, die alle mehrstöckige Mietshäuser waren. Sie „waren ein Spiegel der Ideale der damaligen Gesellschaft. Alles darin wurde für die äußere Pracht vorgesehen.“ Diese Gebäude projektierten überwiegend die Architekten vor Ort, die ihre Bildung an der Fakultät für Architektur des Rīgaer Polytechnikums erhalten hatten, die seit 1869 funktionierte.
Anfang des 20. Jahrhunderts waren für den Rīgaer Jugendstil romantische Tendenzen charakteristisch. Das kam im Wunsch zum Ausdruck, sich von den Reminiszenzen der vorigen historischen Stile zu befreien und eigene künstlerische Welt sowie Symbolik zu gestalten. Diese Tendenz äußerte sich in der Behandlung von Gebäudeausmaßen und Fassaden, aber auch in der Aufmachung der Interieurs. Die Bauten bekamen komplizierte Kompositionsausmaße und begannen an die Märchenschlösser und Festungen zu erinnern, ihre asymmetrischen Fassaden wurden durch Erker, Balkone, verschiedene Vorbauten und Giebel akzentuiert. Ein Teil des Umrisses des Gebäudes waren Türme, die oft von sagenhaften Wetterfahnen gekrönt waren. Und doch waren einer der wichtigsten Teile des Gebäudes seine Interieurs, deren künstlerische Aufmachung sich durch gesättigte Verwendung verschiedener dekorativer Elemente sowie Feinheit auszeichnete.
Das Wesen des Interieurs wurde durch die Planungsstruktur des Gebäudes bestimmt, die rational und funktional gestaltet wurde. In der Gebäudeplanung wurde ein besonderer Platz für die Eingangsvorhalle und das Treppenhaus vorgesehen, die den gesellschaftlichen Status des ganzen Hauses und das Wohlstandsniveau jedes Einwohners symbolisierten. Die Wohnungsplanung sollte jedoch vor allem funktional und erst dann repräsentativ sein. Die Einteilung der Wohnung in den repräsentativen, intimen und funktionalen Bereich beeinflusste die Planung. In der Jugendstilzeit war auch die moderne Einstellung zur Beleuchtung der Räume mit dem natürlichen Licht von großer Bedeutung. Gut beleuchtet waren der repräsentative und intime Bereich, zu denen auch Schlafräume gehörten. Von anderen Bereichen wurde besonders große Aufmerksamkeit der Küche geschenkt, wo sich verschiedene technische Anlagen befanden und die deswegen gut beleuchtet und gelüftet werden sollte. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden dem technischen Progress entsprechend Sanitätsräume eingerichtet – Badezimmer und Toiletten. Sie konnten nicht so gut beleuchtet werden, aber dafür sollten sehr gut gelüftet werden. Der Gang als kommunikatives Element wird beibehalten, seine Ausmaße werden jedoch im Vergleich zu den Gebäuden des 19. Jahrhunderts verkleinert. Überwiegend war die Planung aller Jugendstilhäuser funktional durchdacht. Funktionale und rationale Planung hat das von Konstantīns Pēkšēns 1903 projektierte Gebäude in der Alberta iela 12 (1. Abb.), auch das 1909 entworfene Haus in der Vīlandes iela 10 (2. Abb.), während die Interieurs entsprechend den ästhetischen Anforderungen der Menschen prachtvoll und gesättigt gestaltet wurden.
Weitere Informationen werden in der virtuellen Ausstellung, festgelegt wird bis April 2016.